Wird der Kreis Waldbröl aufgelöst?

 Eine Leserzuschrift der Waldbröler Zeitung vom 2.1.1931

 

a) Situation und Anlass

Der folgende durch sein Layout auffällige Text, der nach Bekunden des an der Sache interessierten Blattes von nicht genannten „Kreiseingesessenen“ stammt und durch die Meinungen eines “auswärtigen Blattes“ ausgelöst wurde,  geht auf die diskutierte  Neugliederung aus Ersparnisgründen ein und auf das Gerücht der bevorstehenden Auflösung von Wipperfürth und Waldbröl zugunsten von Gummersbach   Es geht um den Zweifel an der Lebensfähigkeit kleiner Kreise.  Die Kreisauflösung, gegen die bei vielen Gelegenheiten vorher bereits argumentiert und protestiert wurde, steht nun offensichtlich unmittelbar bevor. Sie wird auch gegen den Protest der Bevölkerung ein Jahr später Wirklichkeit und von den Nationalsozialisten nicht rückgängig gemacht, obwohl manche sich gerade dies von ihnen erhofft hatten. 

Im Folgenden ist nur der zweite Teil des Artikels übertragen. Es wird in dem vorangehenden Teil u.a. auf das Argument der Einsparungen eingegangen und es werden die Nachteile  den behaupteten Vorteilen gegenübergestellt.. Der vorliegende zweite Abschnitt  setzt sich mit der Frage der notwendigen Auflösung kleiner Kreise wegen finanzieller Schwäche auseinander. 

Er listet zur Widerlegung die zahlreichen Errungenschaften der vorangegangenen Jahre auf und beschreibt die Zukunft  in hellen Farben. Deutlich wird das Interesse des Blattes selbst an der veröffentlichten Zuschrift. Auffällig daher die vielen Hervorhebungen, welche die Redaktion gegen alle Gewohnheit übernimmt. Gegen alle Gewohnheit ist auch die abschließende Anmerkung mit der allen Optimismus dämpfenden Stellungnahme  der Redaktion.

Das Plädoyer  als solches hat argumentierenden und appellierenden Charakter, ist Sachkommentar und Stellungnahme eines Insiders mit deutlichem Informationsvorsprung. Auf frühere Auseinandersetzungen und Ausführungen in gleicher Sache (so u.a. 1928, im August 1926 und noch früher Mai 1918)  hätten der Schreiber oder die Redaktion  zweifellos hingewiesen,  wenn es sich nicht um die damals gut vorinformierte Leserschaft des Noch-Kreises gehandelt hätte.

 

b) Text

„….Eine andere Frage ist indessen, ob die Auflösung einzelner kleinerer Kreise deshalb notwendig ist, weil diese finanziell nicht mehr lebensfähig sind. Mit Recht hat der Minister des Innern vor kurzem dieses Moment als Kernpunkt der Auflösungsfrage bezeichnet. Von diesem Standpunkt aus dürfte aber zum Beispiel im Regierungsbezirk Köln eine Auflösung von Kreisen nicht in Frage kommen können. Denn auch die an Einwohnerzahl kleineren Kreise dieses Bezirks, wie Rheinbach, Waldbröl und Wipperfürth  erfreuen sich einer durchaus gesunden Finanz- und Wirtschaftslage.

Wenn darauf hingewiesen wird, daß vor dem Krieg bereits die Auflösung dieser Kreise erwogen worden ist, so darf nicht vergessen werden, dass die Entwicklung dieser Kreise seitdem ganz wesentliche Fortschritte gemacht hat. Wenn insbesondere beim Kreis Waldbröl sein überwiegend landwirtschaftlicher Charakter betont wird, im Gegensatz zu den stärker mit Industrie durchsetzten Kreisen des Bezirks, so ist zu bedenken, daß auch heute immer noch die Landwirtschaft den Jungbrunnen des deutschen Volkes darstellt und nicht einzusehen ist, weshalb ein Kreis deshalb, weil er mehr Landwirtschaft als Industrie auf erweist, aufgelöst werden soll. Ganz besonders gilt dies aber dann, wenn es sich wie beim Kreis Waldbröl um einen kraftvoll aufstrebenden und entwicklungsfähigen Kreis handelt, der finanziell wesentlich besser dasteht als viele Industriekreise im Rheinland.

Der Kreis Waldbröl

 besitzt heute ein Vermögen von rund einer Million Mark, dem nur geringfügige Schulden gegenüberstehen. Die von ihm erhobene Kreisumlage gehört zu den niedrigsten der Rheinprovinz, sie beträgt im Rechnungsjahr 1930 je Kopf der Bevölkerung 3,36 Mark, während der Durchschnitt dieser Belastung sich in der Rheinprovinz auf 5,43 Mark und im preußischen Staat auf 7,94  Mark beläuft. Trotzdem hat der Kreis Waldbröl, abgesehen von der Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben, beträchtliche Mittel für wohltätige und gemeinnützige Zwecke verwenden können. So hat er noch vor kurzem ein neues Kreishaus eingerichtet, indem alle Zweige der Kreisverwaltung in mustergültiger Weise untergebracht sind. Seit langen Jahren besitzt er  eine blühende Kreissparkasse. In der Nachkriegszeit hat er sich eine eigne Elektrizitätsversorgung geschaffen, durch deren Netz heute jeder Ortschaft billiger elektrischer Strom zugeführt wird. Durch Kauf und Konzessionen hat sich die Kreisverwaltung die Ausnutzung der Siegwasserkräfte in ihrem Bezirk gesichert, um dadurch die Elektrizitätsversorgung ihres Bezirks mit der Zeit noch günstiger gestalten zu können. Dies ist namentlich für die im Kreise mehr und mehr sich entwickelnde Industrie von Bedeutung.

Dank der Fürsorge der Kreisverwaltung hat die Landwirtschaft in der Nachkriegszeit beachtliche Fortschritte gemacht, so vor allem in der Viehzucht, in der Grünlandwirtschaft und im bäuerlichen Waldbau. In kultureller Hinsicht wäre die Übernahme des gesamten Berufs und Fortbildungsschulwesens auf den Kreis zu erwähnen, während  die Umwandlung der höheren Schule in Waldbröl in eine Aufbauschule  unter Übernahme auf den Kreis bevorstehe. Nicht vergessen werden darf die Einrichtung eines Kreisheimatmuseums, das allseitige Beachtung und in Fachkreisen lobende Anerkennung gefunden hat.

Um der Erwerbslosigkeit zu steuern, hat der Kreis den provinzialstraßenmäßigen Ausbau zweier Durchgangsstraßen als große Notstandsmaßnahme eingeleitet. Der Zinsen- und Tilgungsdienst für die zu diesem Zweck aufzunehmenden Anleihen soll im wesentlichen aus Mitteln der Kreiselektrizitätsversorgung gedeckt werden.

Aus allem ergibt sich, dass der Kreis Waldbröl in finanzieller, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht auf der Höhe ist und dadurch nicht nur seine Lebensfähigkeit in vollem Maße dartut, sondern auch für die Zukunft reiche Entwicklungsmöglichkeiten aufweist. Eine Auflösung des Kreises würde also auch von diesem Gesichtspunkt aus keineswegs gerechtfertigt sein, ein Standpunkt, der, soweit bekannt, auch von der Regierung in Köln eingenommen wird.

 

Anmerkung der Redaktion: So erfreulich und zuversichtlich die Haltung des obigen Artikels und seines Verfassers auch ist, – wir können nicht umhin, einige leise Einschränkungen anzuempfehlen. Denn wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß die Ergebnisse der letzten Kreistagssitzung  und einiger kürzlich stattgehabten Gemeinderatssitzungen, vornehmlich also in den Selbstverwaltungskörperschaften, auf einen forcierten Pessimismus hinweisen. Dieser Pessimismus ist letztlich ein parteipolitisches Propagandamittel der N. S. D. A. P.  Das Mittel ist wirksam bis in die bürgerlichen Parteien hinein. Man wird sich diesbezüglich besinnen müssen. Denn es wäre ja denkbar, dass der künstlich aufgeputschte Pessimismus den preußischen Staat auf andere Gedanken bringen könnte „

 

c) Hintergrund zum Thema: 

vgl. u.a. Budde, Otto , Waldbröl, wie es wurde, was es ist S.395-411 

<< Neues Textfeld >>