B. –(WZ  20. November 1918) –„ Die neue Zeit und ihre Aufgaben“ (gekürzt)

a) Anlass und Situation

Dass die Zeit neu ist, gibt es entweder jeden Tag oder nicht allzu oft im Leben. Im November 1918 nach dem für Viele überraschenden Ende des Ersten Weltkrieges war ein solch seltener  Augenblick. Der Kaiser verließ sein Land, die Monarchie war zu Ende und man rang nach vierjährigem Blutvergießen um den Frieden. Erst wenige Tage zuvor hatte die Zeitung (am 13.11.18) von der Abdankung des Kaisers berichtet, den Aufruf der neuen Regierung veröffentlicht, später die Einrichtung der Arbeiter und Soldatenausschüsse gemeldet und die neuen Parteien vorgestellt. Eine neue Staatsordnung hatte sich etabliert und suchte das Vertrauen der Bevölkerung. Aus den ersten Wahlen waren Parteien  als Sieger hervorgegangen, die die schwierige Aufgabe übernehmen wollten, unter dem neuen Präsidenten Ebert das Land durch die Krise zu führen. Darunter SPD, Zentrum und die Deutsche Demokratische Partei DDP.

Im Verfolg des Erstarkens der Rechten, der bevorstehenden Wirtschaftskrisen und den Auseinandersetzungen um den Versailler Vertrag etc. fiel die Gunst der Wähler immer deutlicher anderen Parteien zu als der kurz nur erfolgreichen SPD. Mit den bekannten Entwicklungen in den folgenden Jahrzehnten.

Erst recht die Landpresse mit ihren gewöhnlich anderen Themen stand vor einer schwierigen Aufgabe. Sie hatte vier Jahre lang den Krieg begleitet, nun sollte sie die täglich sich ereignenden dramatischen Umwälzungen, die als Nachricht bis ins letzte Dorf drangen, verständlich machen. Die heutigen Kommunikationsmittel gab es nicht. Was tun in solch turbulenten Zeiten? Das war noch zwei Jahre nach dem Zusammenbruch für ein kleines Blatt keine leichte Aufgabe. Indes hielt die Redaktion sie für unumgänglich. In dem Verfasser, dessen Paraphe B am Ende des Textes auf eine einheimische Persönlichkeit schließen lässt, fand sie einen Interpreten, dessen Artikel in der Nummer vom 20.11.19 , hier nur der Anfang des doppelt so langen Artikels, dem Leser die schwierige Lage und die Herausforderungen an die junge Demokratie  zu erklären versucht. Dass seine Hoffnungen, mit Nüchternheit und moderatem Pathos zugleich vorgetragen, verfrüht sind, zeigt die folgende Geschichte des 20. Jhs. Nicht erst der Kapp-Putsch im März 1920 war ein Mosaikstein auf diesem Weg. Der unheilvolle sog. Friedensvertrag, die politischen Morde, die Rheinlandbesetzung und die Inflation, schließlich die Umbrüche am Ende des Jahrzehnts waren weitere Wegmarken des sich anbahnenden Verhängnisses..

 

 

 

Text

Die Ereignisse der letzten Tage haben sich mit solcher Wucht überstürzt, dass wir sie – ob wir auch mitten im großen Geschehen stehen – nicht übersehen, geschweige denn begreifen können. Was in den ersten Novemberwochen in Deutschland geschehen ist, wird erst der kundige Geschichtsschreiber unseren staunenden Kindern und Kindeskindern erzählen können. Es ist im Leben der Völker nicht anders, wie im Leben des Einzelnen. Unsere Erlebnisse werden uns meistens erst dann klar, wenn wir sie nach Jahren in gewissem Abstand übersehen können: Deshalb ist es jetzt noch zwecklos, den tiefsten Sinn der gegenwärtigen Geschehnisse, ihre Ursachen und ihre Wirkungen ergrübeln zu wollen. Ein solches Bemühen ist auch gefährlich, weil es den Geist des Volkes entzweit und zersplittert in einer Zeit, in der alles daran hängt, ob wir einig sind. Wir dürfen uns jetzt zu solchen Grübeleien nicht die Zeit nehmen .Wie mögen zur Vergangenheit stehen, wie wir wollen – unser Denken und Fühlen muss jetzt ganz der Gegenwart und Zukunft gehören. Unser Wille darf nur ein Ziel kennen: das Wohl des Vaterlandes – – Durch unser Volk schreitet erfolgreich die Revolution. Die gewaltige Zeit, die über vier Jahre lang die Welt unter dem Geklirr der Waffen und dem Gebrüll der Feuerschlünde erzittern ließ, erwählte sich zu den notwendigen Erneuerungen  der inneren Staatszustände auch außerordentliche Mittel. Wir haben uns daran gewöhnt, die Umwälzungen in unserem Staatsgebäude mit dem Ausdruck: die neue Regierung zu bezeichnen  Der wesentliche Zug der neuen Regierung ist der, dass sie auf gewaltig breiter Grundlage den Volkswillen darstellt. Sie wird in ihrem schweren Bemühen belebt von einem riesigen Vertrauen zu der staatsbürgerlichen Einsicht unseres Volkes. Nun kommt es darauf an, dass alle Kreise rückhaltlos auf die Seite der neuen Regierung treten, ihr Bemühen, unserem Volk Einigkeit und Besonnenheit zu bewahren, mit allen Kräften unterstützen. Stets noch hat die Natur nur durch Anspannung aller Kräfte, ja durch Einsatz des eigenen Lebens neues Leben zur Welt gebrach. Im Volksleben ist es nicht anders. Die Geburtsstunde eines neuen Regierungssystems ist immer eine Schicksalsstunde .Deshalb zittern die Völker bei dem Wort Revolution .Ist sie aber da, dann gilt nur ein Wille: Wir müssen die Stunde glücklich bestehen .Wenn nicht alle Zeichen trügen, wenn wir weiter alle Kräfte anspannen, wenn wir keinen Augenblick den Gedanken verlieren, dass die Rettung von Volk und Vaterland höchste Aufgabe ist, dann können wir sagen, dass wir die Schicksalsstunde glücklich überstehen werden.----- […]

 

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