Das vielfältige Bildmaterial, das seit Eindringen der Fotografie in den Alltag seit etwa dem ersten Weltkrieg im Bereich der Heimatphotographie in Erscheinung trat , spielte fast immer nur eine illustrative Rolle. Es sollte, sehr oft anonym, lediglich belegen, wovon in den Texten die Rede war. Unter fotografischen Gesichtspunkten wurde es kaum wahrgenommen. Ein Vorgang eigenen Rechts war es nicht. Die Namen der Fotografen waren unbekannt oder wurden vergessen. So wie bisher auch eine Fotogeschichte des Oberbergischen fehlt. Jeder konnte später mit dem Material beliebig verfahren, wenn die Rechte ausgelaufen waren oder niemand sie in Anspruch nahm. Es war so, als bildeten diese Aufnahmen in erster Linie nur Vorhandenes oder Geschehendes im nackten Verhältnis 1:1 ab, in der Annahme, es sei zufällig jemand zugegen gewesen, der mit einem selbsttätigen Gerät, genannt Fotoapparat, im richtigen Augenblick auf den Auslöser drückte. Dass der Apparat das Wesentliche von selbst bewirkte, war Bestandteil des Begriffs, den man von der zugehörigen Technik hatte. Prothese eines eher primitiven menschlichen Auges zu sein, war Teil dieser Vorstellung. Das menschliche Auge wurde dabei ebenso schmählich verkannt wie der Auftrag der Fotografie oder gar der Kunst.[i]

Es kann darum nicht verwundern, dass trotz der Kürze der vergangenen Jahrzehnte vieles, was mit der Herstellung und dem Vertrieb der Bilder zu tun hatte, als Vorgang nicht mehr rekonstruierbar ist. Das gilt auch für den Bildtyp, der hier im Mittelpunkt steht und der die Menschen in unseren Dörfern vor dem ersten Weltkrieg fotografiert vor ihren Häusern zeigt. Es scheint in den Jahrzehnten des zu Ende gehenden Kaiserreiches ein einträgliches Geschäft auch für umherreisende Fotografen gewesen zu sein. Sie traten auf diese Weise gelegentlich in unerlaubte Konkurrenz zu der Kollegenschaft der Atelierfotografen, erzielten aber mit ihrem Angebot landauf landab eindeutig einen Geschäftserfolg. Sie setzten ein, was auf dem schnell wachsenden Markt an Apparaten und Verfahren ihren Zwecken dienen konnte, vertrauten dabei auf ihre Erfahrung und den fotografischen Blick.

Die Wünsche der Kunden gingen alle in die gleiche Richtung. Ähnlich wie bei den eingeführten Gattungen der Atelierfotografen, die jahrzehntelang mit ihren Visitkarten den kaum zu befriedigenden Bedarf eines bürgerlichen Publikums nach porträtierender Selbstdarstellung im Auge hatten, wollten sie sich selbst auf den Bildern wiederfinden. Als besonderer Reiz erschien, dass Familienangehörige über die Generationen hinweg gemeinsam mit auf den Bildern erschienen und deren Häuser dazu, in denen sich das gemeinsame Leben abspielte. Da diese Aufnahmen dem Kunden als Postkarten im entsprechenden Format angeboten wurden, kam auch der Nutzen hinzu, sich entfernten Freunden und Verwandten auf diese Weise in einem kommunikativen Medium mitteilen zu können.

Das Medium Fotografie selbst erfreute sich spätestens seit Beginn des Jahrhunderts einer großen Beliebtheit. Die Technik spielte hier eine Trumpfkarte aus, die in der digitalen Gegenwart mit ihren tausendfachen Bildübertragungen per Handy und für Jedermann unerwartet neu aktuell wurde.

Schaut man sich allerdings die Vielzahl der damals entstandenen und noch hier und da verfügbaren Bildpostkarten von damals an, entdeckt man deutlich Unterschiede. Sie liegen nicht nur in den benutzten Verfahren, sondern vor allem im Grad der Teilnahme an Menschen und Gegenständen. Fehlende Erfahrung und kommerzielle Not mögen der Grund sein, warum die Aufnahmen oft nur dem Nötigsten der zu erwartenden Darstellung entsprechen und als in jeder Hinsicht kunstlos erscheinen, ohne darum realistisch und sachlich zu wirken. Hier und da aber waren Fotografen unterwegs, die ihr Bestes zu geben versuchten, so dass noch heute die Bilder mehr sind als flüchtige Auftragsarbeiten. Ob auch ein August Sander in jenen Jahren vor dem ersten Weltkrieg hierzulande unterwegs war, lässt sich nicht mehr feststellen. Biographisch gesehen, könnte es zutreffen.

Dabei wirkte bei manchen dieser Fotografen zweifellos nach, was in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg als romantische Begeisterung für die natürlichen Lebensverhältnisse auf dem Land im Sinne der Heimat- und Heimatschutzbewegungen Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden hatte. Abwehr der sich ausbreitenden technischen Verunstaltungen in der Landschaft, Erhalt von Dorfensembles und malerischen Perspektiven, Verteidigung der Bauweisen im Anschluss an überkommene Formen und Materialien führte überall, im Bergischen sowohl als auch anderen Landstrichen, dazu, Heimat und Umwelt in eins zu sehen und für bauliche Ortssatzungen und eine Reform der handwerklichen Tuns offensiv einzutreten. Die preußische Verwaltung ließ Register noch vorhandener Bau- und Naturdenkmäler erstellen. Vortragsreisende zogen durch die Lande, um anhand von fotografischen Beispielen den Sinn für Gut und Böse, für Wert und Unwert im Umgang mit der Heimat zu wecken. Dass die hierzulande noch in vielen Dörfern zu bewundernden Fachwerkbauten einen besonderen Rang einnahmen, machte manches dieser Objekte zum möglichen Beispiel dafür, wo hierzulande und wie Tradition des Bauens und Miteinanderlebens in der Landschaft noch zu funktionieren schienen. Dass der bald ausbrechende Weltkrieg mit seinen beispiellosen Zerstörungen in Europa einen Bruch mit diesen Gedanken- und Gefühlswelten herbeiführte, bedarf keiner Hervorhebung. Aber es erklärt auch, warum nach dem Trauma des verlorenen Krieges und durch die weiteren politischen Entwicklungen bedingt, ähnliche Tendenzen bis hinein in die 30er Jahre erneut auftauchten.

Das rein dokumentarische Bemühen, diese frühen und ersten Ansichten unserer Dörfer samt der dazugehörigen Häuser und Menschen als solche zu erhalten und für die Nachwelt zu bewahren, rechtfertigt den Aufwand, sie nicht im Trödel verschwinden zu lassen. Von vielen Orten ist es bisher nicht gelungen, wenigstens eines der Bilder aufzufinden, die damals beinahe überall entstanden. Erst recht ist kein Fotograf jener Tage bekannt, der wie hier und da anderswo geschehen, das dörfliche Leben in seiner ganzen Breite fotografisch erfasst hätte. Ganz abgesehen davon, dass es in der Mehrzahl der Fälle den Eigentümern noch überlieferter Bilder nicht mehr möglich war, das im engeren Sinn familiengeschichtlich und dorfgeschichtlich Bedeutsame einzuordnen bzw. aus eigenem Erleben oder erzählerischer Überlieferung heraus zu beleben. Dort wo die Bilder verwahrt wurden, eingebettet in wenig auseinander zu haltende persönliche Bilderfülle, war man sich des Alters und der Besonderheit dieser ältesten Fotos meist nicht bewusst. Es lohnt sich immer noch , ihren Spuren zu folgen. (vgl. dazu vom Verf. „Häuserfotografien vor dem ersten Weltkrieg“ in „Beiträge zur Oberbergischen Geschichte“ Bd. 8)

 



[i] Schon Baudelaire bemerkte um die Mitte des Jahrhunderts, als die ersten Fotografien aufkamen : "In diesen kläglichen Tagen ist eine neue Industrie hervorgetreten, die nicht wenig dazu beitrug, die platte Dummheit in ihrem Glauben zu verstärken, dass die Kunst nichts anderes ist und sein kann als die getreue Wiedergabe der Natur. Ein rächender Gott hat die Stimme dieser Menge erhört. Daguerre ward sein Messias"