Zähes Bemühen um örtliche Baukultur als Thema vor 100 Jahren

 

In Waldbröl entsteht 1906 im noch lockeren Zusammenhang mit der damaligen Heimatschutzbewegung ein erster Bau- und Fluchtlinienplan, 1907 folgt eine erste Ortssatzung. Worum es hier geht, zeigt deutlicher eine Veranstaltung des Rheinischen Vereins in Bonn im darauffolgenden Jahr 1908. Auf dieser Konferenz machte man sich Gedanken über eine andere Baukultur in Stadt und Land. Es wurden Fragen zum Thema Bauberatung und Ortsstatuten gestellt und diskutiert.

Eine starke Bauberatung wurde dabei für wichtiger angesehen als die bloße Konservierung des Vorhandenen. Man plädierte für Ortssatzungen und wünscht sich einen Katalog von vorbildlichen Modellen und greifbare Vorbilder.

Die Zahl der Ortssatzungen wuchs danach auch in den Kommunen des Rheinlands schnell, im gleichen Jahr bereits von 9 auf 133. Ihr Inhalt wich wegen der nicht eindeutigen Definition von "Verunstaltung" der Ortschaften allerdings stark voneinander ab. Manche wurden auch, wie das unten aufgeführte Eckenhagener Beispiel zeigt, als ungenügend an die Gemeinden zurückverwiesen. Durch Vorträge und Lichtbilderserien versuchte man dennoch wie an vielen Orten, den Gedanken der Heimatschutzgesetzgebung weiter zu verbreiten und voranzubringen. Deutlicher als zuvor geraten so in den Jahren 1910 bis 1913 die Gedanken der Heimatschutzes und des heimatverbundenen Bauens in Umlauf und illustrieren mit einzelnen vor allem öffentlichen Bauten die damit verbundenen Absichten.

Bedeutsame Anstöße hatte es schon 10 Jahre zuvor gegeben. Verschandelung und Verunstaltung der Landschaft wurde ein Stichwort .

Hören wir, was der Promotor der nun entstehenden und um sich greifenden Protestbewegung   Rudorff unter dem Titel „Heimatschutz“ bereits in seiner Veröffentlichung von 1897 anprangerte:

 

„Nicht genug aber, daß der Bestand an alten Gebäuden aller Art in beständiger rascher Abnahme begriffen ist, dass charaktervolle Straßen und Plätze mit hässlichen Neubauten durchsetzt werden, oder dass reizvolle altertümliche Häuser durch geschmacklose Reparaturen und Ummodelungen, durch Einsetzen unpassender großer Fensterscheiben, durch Herrichtung von riesenhaften Ladenschaufenstern mit Eisenträgern im Erdgeschoss entstellt werden, auch für die Entwertung dessen, was an und für sich unverändert übrig geblieben ist, sorgt das moderne Leben in unzähligen Formen“

Dies bereits 1897 !

 

Die im Staatsarchiv Düsseldorf noch z.T. erhaltenen Briefwechsel der damaligen Kreisbehörden erlauben punktuelle Einblicke in die damaligen Vorgänge, auch was die Widerstände vor Ort angeht. 1911 bittet der für Waldbröler Bauberatung zuständige Architekt Klotzbach aus Barmen um alte Pläne von Ortschaften, von Siedlungen und erhält eine Fehlanzeige des Bürgermeisters. Mehrere vom damaligen Landrat Gerdes um Auskunft gebetene Bürgermeister der Außenortschaften meldeten, es gebe derartige Pläne nicht. Unwille gegenüber amtlicher Gängelei und Unverständnis mögen Pate gestanden haben.

 

Heft 3 des 5. Jg der Hauszeitschrift des Rheinischen Vereins ist im gleichen Jahr 1911 dennoch auch dem Oberbergischen Land gewidmet und stellt Orte und traditionelle Bausubstanz ein erstes Mal zusammenhängend in Text und Bild vor. In der Einleitung drückt Dr. Bredt vom Rheinischen Verein federführend die Hoffnung aus, doch noch zur rechten Zeit Sinn und Geist für das zu wecken, " was wir unter Denkmalpflege und Heimatschutz verstehen“ . Es geht ihm dabei auch um die Hervorhebung von gelungenen Beispielen.

 

Auf Seite 223 notiert das Heft bei der 1910 entstandenen Winterschule eine "erfreuliche Anlehnung an alte bergische Bauweise". Zwar gibt es auch eine Kritik an Behörden, Privatleuten und Baumeistern (S.219), die nur zögernd diese Gedanken aufnehmen, der Autor stellt aber auch fest, dass zur Zeit an vielen Orten eine deutliche Bereitschaft zu beobachten sei, dies auch bei einzelnen Baugeschäften“, durch Erstellung guter Bauten an der großen Kulturaufgabe mitzuwirken“ . Waldbröl als ein Ort mit weniger Industrie verfüge zwar über wenige herausragende Bauten einer "bestimmten Eigenart", aber die Apotheke Witteler [AdlerApotheke] und das Ispertsche Haus werden lobend hervorgehoben und im Bild vorgestellt.

Übersehen hatten die Herausgeber offensichtlich die inzwischen fertig gestellte Wiedenhofschule (1910), von der es in Band 3 der Oberbergischen Geschichte aus unseren Tagen , zeitgenössische Quellen zitierend, heißt, sie sei eine echte „Zierde des Ortes“ und bei der der Verfasser (1980) nicht zu Unrecht vermutet, sie sei aus der architektonischen Heimatbewegung des 19. Jhs entstanden, die, wie er kritisch bemerkt, ein "nicht unproblematisches landschaftsgebundenes Bauen“ propagierte. Hätte man 1911 noch etwas gewartet, man hätte mit dem evangelischen Pastorat an der Oststraße(58)   (1912/13) und dem zur Heil- und Pflegeanstalt gehörigen Ärztehaus an der heutigen oberen Kaiserstraße (erbaut 1913/14) zwei weitere Schmückstücke bergischen Bauens vorgefunden. Auch die 1912 aufgestockte katholische Volksschule mit ihrem Schmuckgiebel hätte er nennen können.

 

Am 10.7.1911 bittet der Landrat die Bürgermeister um umgehende Sammlung und Zusendung von Ansichtspostkarten der Hauptorte des Bezirks, möglichst als „Gesamtbilder“. Desgleichen bittet er im gleichen Jahr (28.8. 1911) die Einwohner des Kreises, ältere photographische Aufnahmen und Zeichnungen von Ortschaften oder Landschaften zur Verfügung zu stellen zwecks Vervielfältigung. Auf einer Kunst- und Bauausstellung in Erkelenz sollen sie ausgestellt werden. Ob er freundliche Zusendungen aus den Bürgermeistereien des Kreises erhielt, ist nicht zu entnehmen.

 

Vorhandenes fotografisches Material wurde für besonders wertvoll angesehen. Als der Landrat im gleichen Jahr Dr. F.W. Bredt vom Rheinischen Verein bittet, ihm nach Waldbröl Fotos für Vorträge von Winterschullehrern in den einzelnen Ortschaften auszuleihen, weigert dieser sich und vermerkt, dass dieses Material in den Händen der Lehrer „nicht immer gut aufgehoben“ sei. Zudem redeten Lehrer oft Unsinn, das Material sei zu wertvoll, die Bilder seien darüber hinaus geistiges Eigentum der Fotografen selbst.

 

Dass auch die Schulen sich den Fragen des Heimatschutzes und der Denkmalpflege widmen sollten, würde schon anhand der genannten Flugschrift von 1908 deutlich. Ein interessanter Artikel in der Waldbröler Zeitung von 1910 „Heimatschutz und Zeichenunterricht“ stellt dar, wie man sich den Beitrag des Zeichenunterrichts in diesem Zusammenhang vorstellte.

1912 ergeht eine Anfrage aus Düsseldorf nach Bestehen von Bauberatungsstellen im Kreis Waldbröl. Die Antwort vom 4.4.12 lautet, eine eigentliche Bauberatungsstelle bestehe nicht, man sende das Material an den zuständigen Architekten Klotzbach. Der Kreis habe darüber hinaus Mappen mit mustergültigem Material beschafft, das von der Kgl Regierung in Minden, Trier und Bonn herausgegeben wurde Überdies habe es 1910 einen Vortrag zu diesem Thema gegeben.

 

Von diesem wegweisenden Lichtbildervortrag im Hesseschen Saal in Morsbach am 2.2.1910 gibt es nicht nur in der örtlichen Presse kurze Ankündigungen und Berichte, sondern auch im Düsseldorfer Archiv Ausführliches. Einer einleitenden themenbezogenen Ansprache des Landrats Gerdes folgten Vorträge von Amtsrichter a. D. Dr. F. W. Bredt und Architekt Klotzbach, Barmen.

Der Vortrag des Landrats ist im Original erhalten. Einführend verweist LR Gerdes als Einladender auf das Gegeneinander in der eigenen Zeit von vorrangig verfolgtem „materiellem Streben im schwerem Daseinskampf“ und der gebotenen Pflichterfüllung, andererseits auf das, was er „das ideale Gebiet“ nennt. Zu letzterem gehöre es, das Kleinod der Dörfer und die harmonische Eintracht der Häusergruppen in ihnen zu bewahren. Die Gefahr der Zerstörung durch Industrie, Zement und Stuckbauten u.ä. sei unübersehbar. Als negative Beispiele aus der eigenen Gegend verweist er auf den „schauderhaften Bau der Irrenanstalt in Waldbröl“ und allerlei „ausgeputzte Nachahmungen städtischer Bauprodukte“ (Zinkblechverkleidungen, farbige Ornamente, Namen, Jahreszahlen und dergleichen, die ohne „Liebe und Sinn für Heimat“ zustande gekommen seien, aber auch auf das zunehmende Plakat- und Reklamewesen..

Als positive Gegenbeispiele erscheinen dem Redner trauliche Fachwerk- und Schieferhäuser als „spezifisch bergische Bauten“, die sich einfügen in ein bestehendes Gesamtbild. Die Frage nach der Umsetzung und Umsetzbarkeit des Gesetzes von 1907, das der Negativentwicklung einen Riegel vorschieben wollte, stellt sich ihm folgerichtig. Es gehe dabei – hier kommt er Vorbehalten zuvor- nicht darum, das Alte sklavisch zu kopieren und als Richtschnur des Bauens zu betrachten, sondern „in möglichster Anlehnung an bodenständige Vorbilder...das Neue „ zu entwickeln im richtigen Verstehen dessen, was Umgebung, Klima und Landessitte lehren.“

Das sei zwar alles auch ein wichtiges Thema für Unternehmer, Handwerker und baupolizeiliche Kontrolle, lasse sich zwar mit Pressearbeit, Ausbildungsrichtlinien, Prämien für beispielhafte Lösungen und Entwürfe, mit Beratung durch die inzwischen eingerichtete Bauberatungsstelle in Düsseldorf u.ä. befördern, aber entscheidend sei die Mitwirkung der Bevölkerung. Sie müsse begreifen : Jedes Bauen sei nicht nur von der funktionalen und finanziellen Seite zu betrachten, sondern habe eine ästhetische und heimatbezogene Aufgabe. Das „traute Bild“ mit dem eigenen Bau „nicht zu stören“, sei Pflicht jedes Bauherrn.

 

Mahner in der Sache – und danach stellt Gerdes dann den Vortragenden und seinen Begleiter vor sei der 1906 gegründete Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz , zu dessen Zielen es gehöre, auf die Erhaltung des wertvollen Besitzes an heimischen Natur- und Baudenkmälern hinzuwirken.

Dies ist auch das Thema des anschließenden Lichtbildervortrags unter dem Titel: „Was lehrt uns die Denkmalpflege für das bergische Land ? " Auch Bredt betont, wie das zusammenfassende Protokoll des Düsseldorfer Archivs aus unbekannter Quelle (aus der Feder möglicherweise von LR Gerdes selbst) hervorhebt, dass es nicht um eine Kopie des Alten gehe, sondern vielmehr darum, anknüpfend „die Lösung zu suchen , welche die veränderten Gegenwartsansprüche bedingen.

Anhand von Lichtbildern von Mosel, Hunsrück und Mittelrhein zeigte Bredt dann , wie solche Lösungen aussehen können. Barbarische Putzsucht und die Orientierung an vermeintlicher Zweckmäßigkeit hier und die alten Schiefer – und Fachwerkhäuser dort standen sich in diesen Beispielen gegenüber. Die aus unterschiedlichen Quellen stammenden und harmonisch verbundenen Bauelemente des bergischen Hauses (Türen, Türoberlichter, Treppenaufgänge etc.) wurden lobend benannt, ebenso wie das tatkräftige Vorgehen einzelner Gemeinden, auch „gegen Verkehrs- und Entwicklungsverhältnisse“ Widerstand zu leisten und Bestehendes zu erhalten.

 

Den Tätigkeiten des eigenen Vereins in Veröffentlichungen und Bauberatung galt eine anschließende Darstellung in Verbindung mit der Hoffnung auf ein Bauen „aus echter Heimatliebe“

Dem Gedanken vor allem des Heimatschutzes widmete sich laut Protokoll der ergänzende Vortrag des Bauberaters Klotzbach, der an Beispielen kontrastreich verdeutlichte, worum es hierbei geht.

Nur hastig die Forderungen der Zukunft zu befriedigen mit „Ziegelkästen und himmelhohen Mietkasernen in völliger Rücksichtslosigkeit gegen die Umgebung“ sei der falsche Weg. Schuld komme auch den Behörden zu und der zu beobachtenden Tendenz zur Bevorzugung schnurgerader Lösungen. Die scheinbare Regellosigkeit bestehender Straßen und Gruppenbilder sowie das Vorhandensein bestehender Baumgruppen sei zu erhalten. Der Redner stellt u.a. Baupläne vor und nach einer Korrektur durch die Bauberatung vor und wirbt dafür, dass auch „hierzulande“ bei den Kommunalverbänden ebenso wie bei der Bevölkerung die Aufgabe begriffen werde und die bestehenden kostenfreien Angebote der Bauberatung aufgegriffen würden.

 

Abschließender Beifall und Lob des Landrates, verbunden mit dem Wunsch nach einer speziell auf das Oberbergische bezogenen Publikation des Rheinischen Vereins, in dem bemerkenswerte Bauten der drei oberbergischen Kreise hervorgehoben würden, beschlossen den Vortrag. Ein besonderer Dank gehörte der organisatorischen Vorbereitung der Veranstaltung seitens des Morsbacher Bürgermeisters.

 

Dass das gewünschte Heft über das Oberbergische im folgenden Jahr dann in der Tat erschien, wissen wir schon und wir kennen auch seinen Inhalt. Die Veranstaltung sollte indes vor dem herannahenden Weltkrieg die einzige große Werbung für den Gedanken des heimatbezogenen Bauens vor Ort bleiben.

 

Wie zäh in den damaligen Zeiten in manchen Kommunen aber auch gegen den heimatschützerischen Trend gekämpft wurde, der offensichtlich manchenorts unter die behördlichen Belästigungen gezählt wurde, lässt sich an einem anderen Aktenstück des Düsseldorfer Archivs verfolgen. Die Gemeinde Eckenhagen, damals zum Kreis Waldbröl gehörig, war eine der ersten, die eine Ortssatzung erließ. Man schickte sie ihr zurück, da sie nichtssagend sei. Vor allem vermisste man, dass die wertvolle alte Barockkirche gegen die angrenzenden Eigentümer nicht durch einen gebührenden Abstand der Hauszäune geschützt sei. Um diese Abstände ging es nun in einem jahrelangen Gerangel zwischen der Einwohnerschaft, dem Bürgermeister, dem Landrat und den preußischen Behörden. In einem Schreiben wehren sich die Bürger in großer Zahl mit Unterschrift und protestieren gegen die Auflagen. Der Bürgermeister gibt zu bedenken, gegen die sturköpfigen Oberberger sei mit Gewalt nichts durchzusetzen und nach einem überstandenen Weltkrieg vier Jahre später zieht die inzwischen Verwaltung der Weimarer Republik das preußische Anliegen Anfang der 20er Jahre als ineffektiv aus dem Verkehr.

 

Nach der Unterbrechung durch den Weltkrieg und durch die Ereignisse der Nachkriegszeit lässt sich beobachten, dass ab der Mitte der 20er Jahre die Diskussion über eine neue Bauweise im Zusammenhang der landesweiten Heimatbewegung noch einmal aufgegriffen wurde. Es ist die Zeit, als in Gummersbach und Waldbröl eigene Abteilungen des Bergischen Geschichtsvereins entstehen (1924). Anfang 1925 hält der Architekt Klotzbach noch einmal einen Vortrag über die alte und neue Bauweise, auch bemühen sich Architekten bei dem einen oder anderen Auftrag um entsprechende Lösungen.

Dass die Jahre nach 1933 dem Geschehen einmal mehr einen besonderen Akzent gaben, gehört zur Geschichte der nachfolgenden Jahre. Das heimatbezogene Bauen unter den neuen Horizonten der NS–Zeit stellt eine eigene Entwicklung dar, die sich im Übrigen auch in Waldbröl, etwa auf Gut Rottland, noch in Ansätzen beobachten lässt.