Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio, eine Gestalt nur des 19. Jahrhunderts?

 

 

Dass er nur ein einziges Mal  in seinem Leben den bergischen Geburtsort aufsuchte, ist durch seine eigene Erzählung im 3. Band der hinterlassenen Lebenserinnerungen belegt. Das in der Altstadt gelegene Geburtshaus Anton Wilhelms, erbaut irgendwann im 18.Jhd. im bergischen Stil, hat davon keinen Schaden genommen und zählt zu den Sehenswürdigkeiten des Ortes. Die Rede ist von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio. Dass er dem fremdländisch klingenden eigenen Namen einen deutschen wie „Wilhelm von Waldbrühl“ als Verfasser mancher späteren Veröffentlichung vorzog, erklärt sich, wie in den „Erinnerungen“ nachzulesen, aus dem Wunsch, erlebten Vorbehalten seiner frühen Publikationstätigkeit gegenüber aus dem Weg zu gehen[1].

Da half wenig, dass er 1803 hier im Lande geboren worden war und u.a. Lieder sammelte, die traulicher und politisch unverdächtiger  nicht sein konnten. Heute ist eines davon gar bekanntestes deutsches Volkslied  überhaupt, mag das  auch nur der vielsagenden ersten Zeile und der romantischen Melodie zu verdanken  sein, „Kein schöner Land in dieser Zeit…“ . Fährt der Text anschließend fort „als hier das unsre weit und breit“ , ist es jedem überlassen, das genannte Land für das eigene zu nehmen.

Der vor dem Wegzug der Eltern noch in Waldbröl geborene Sohn des Jakob Salentin, der sich nach abgebrochenem Studium als Hauslehrer, Privatgelehrter und vielseitig Kulturschaffender in In- und Ausland sein Brot verdiente, verfasste selbst  - so hieß es lange -  den Text in romantisierender und pädagogischer Absicht und unterlegte ihm eine Melodie, die aus mehreren sanglichen Quellen stammte. So klang es erklärend  vor einem halben Jahrhundert bei W. Wiora in seinem Buch über „Die rheinisch–bergischen Melodien bei Zuccalmaglio und Brahms“.[2]

Anton Wilhelms dreibändigen „Erinnerungen“ könnte man entnehmen, dass er seinen Melodien schon früh in seinem Leben begegnete, setzte er doch dem genannten Lied unter der Nummer 274 mit dem Titel „Abendlied“ in seiner viel gerühmten Volksliedersammlung von 1840  einen Hinweis auf die Herkunft hinzu. „Vom Niederrhein“ heißt es dort, was damals eine geläufige Bezeichnung für die Gegend auch um Köln war. Allerlei Lieder hatte den Kindern schon die Mutter gesungen und der Sohn hatte während der Studienjahre in Heidelberg seine überraschten Zuhörer auf die unbekannten heimischen Liederschätze „namentlich vom Niederrhein“ aufmerksam machen können[3]. Im späteren Leben war ihm das ausübende, sammelnde und theoretische Interesse an der Musik neben allem Interesse an Überliefertem, das aus der Tiefe der Zeit und des Volkes zu kommen schien, nie ganz verloren gegangen[4]. Er publizierte, obwohl nicht selbst als Komponist tätig, in zugänglichen musikalischen Zeitschriften, sammelte und notierte alte Weisen auch außereuropäischer Völker, versuchte sich als Singspielautor, Kunstkritiker, Archäologe und Poet, suchte aber vor allem den musikalischen Geschmack der Zeit  zu heben. Mütterlicherseits aus einer bekannten rheinischen Familie stammend, Nachfahre tätiger Einwanderer, reisefreudig, selbstbewusst und ungebunden, lernte er viele bekannten und heute unbekannten Zeitgenossen seines Umfelds kennen, denen wir in seinen autobiographischen Erinnerungen, von mancherlei Anekdoten begleitet, begegnen.

Nicht zu übersehen ist, dass das  musikalische Interesse nur eines von vielen Interessenschwerpunkten des älteren Sohnes von Jakob Salentin darstellte. So ergibt es sich aus den hinterlassenen und kaum aufgearbeiteten Schriften in zahlreichen Archiven. Ähnlich geht es aus vielen Publikationen hervor, die sich im Lauf der letzten Jahrzehnte ausführlicher mit den Brüdern Zuccalmaglio als herausragenden Gestalten des rheinischen Kulturlebens im 19. Jh. befassten.[5]

 

[1]  Erinnerungen Bd. 1 ,S.88ff.

[2] Wiora, a.a.O. (1953) , S. 99

[3] Erinnerungen Bd. 1, S. 122 ff

[4] Else Yeo, Überall und nirgendwo. Das unruhige Leben des Anton Wilhelm von Zuccalmaglio, der sich selbst Wilhelm von Waldbrühl nannte, 1999, 260 S. Band 26 der Schriftenreihe des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Rhein-Berg e.V, 1999

[5] Hier sei auf die Aufsätze des Buches „Ein liederliches Genie“  im Heimatbund Märkischer Kreis  von 1991 und den Titel  „Die Zuccalmaglios. Kultur und bürgerlicher Lebensstil im 19. Jahrhundert“, hg. von Prof. Cepl-Kaufmann und Hella-Sabrina Lange, Grevenbroich 2004 wie auch auf neuere Untersuchungen  verwiesen. (vgl. Leseliste)