Die folgende Erzählung wurde mir eines Tages von dem inzwischen verstorbenen Autor C. Kugelmeier als "Zugabe" zugesandt. Inzwischen eröffnet sie den 2008 im K. Fischer Verlag erschienenen Band Erzählungen "Wechselnd bewölkt, doch vorwiegend heiter", allerdings ohne die lokalgeschichtliochen Bezüge. Der Autor wurde in den vergangenen Jahren vielen Lesern vor allem durch seine Romane (etwa die beiden Bände "Zwischen Hell und Dunkel") und andere literarische Texte bekannt. Die kurze Erzählung steht mit ihren Geschehnissen, die auf den Geburtsort in der Gemeinde Waldbröl und auf die Geschichte der näheren Heimat bezogen sind, in seinem Werk nicht allein da. Hier die Geschichte von

 

 Röbchen und Willy

Seit dem "Religionskrieg" des Jahres 1703, in dem anläßlich der Aufstellung eines katholischen Steinkreuzes von den Protestanten die Sturmglocken geläutet wurden und es in den dann folgenden Auseinandersetzungen Verletzte und sogar Tote gab, war es in meiner Heimatgemeinde Waldbröl zu keinen schwerwiegenden konfessionellen Differenzen mehr gekommen. Der Augsburger Religionsfriede, bereits im Jahre 1555 verkündet, wurde allmählich auch in unserem damals noch abgelegenen Erdenwinkel de facto anerkannt und praktiziert. Protestanten und Katholiken lebten fortan in friedlicher Gemeinschaft. Die Protestanten waren in der Mehrzahl, nutzten jedoch ihre quantitative Überlegenheit nicht aus. Im Gegenteil: Nachbarn verschiedener Konfession halfen sich gegenseitig, uneigennützig und ohne Neben- und Hintergedanken.

So war es denn selbstverständlicher Brauch, dass auch in Rossenbach mein Vater bereitwillig in "lutherischen" Häusern Schreinerarbeiten ausführte. Dafür halfen ihm Bauern, die der anderen Konfession angehörten, bei der Bewältigung seiner bescheidenen Landwirtschaft, ohne die auch ein Handwerker nicht leben mochte und konnte. Da gab es zum Beispiel den Nachbarn Robert, trotz seiner Baumlänge "Röbchen" genannt. Der kam mit Pferd und Pflug, wenn es darum ging, die Kartoffeln zu verlegen oder zu ernten. Als Gegenleistung reparierte ihm mein Vater Fenster, Türen und anderes mehr. Beide Leistungen wurden freundschaftlich verrechnet, und man verblieb stets in Frieden.

Nur zweimal im Jahr brach die durch Martin Luther oder -wie man will - durch die Mißstände in der katholischen Kirche aufgerissene und inzwischen vernarbte Wunde wieder auf. Dies geschah an den höchsten Feiertagen der jeweiligen Konfession: am Karfreitag und zu Fronleichnam. Dann traten Röbchen, der Bauer, und Willy, mein Vater, mit religiös gefärbter Inbrunst in Aktion.

Am Karfreitag ließ Willy in seiner Werkstatt alle Maschinen laufen: es wurde gehobelt und gesägt, und über die Dorfstraße scholl kräftiges Hämmern. So, als wolle er zeigen, dass er anders war als die Nachbarn, nämlich katholisch.

Wenn jedoch neun Wochen später am Fronleichnamsmorgen einigermaßen gutes Wetter war, spannte Röbchen, der Bauer, sein Pferd vor den Jauchewagen, fuhr die häßlich stinkende Brühe über die Straße am Haus meines Vaters vorbei und ver­sprühte sie über die nahegelegenen Felder, soweit sie ihm gehörten. Röbchen saß dann auf dem Jauchefaß, in der einen Hand die Zügel, in der anderen die Pfeife, an der er genüßlich schmauchte. Wenn er an Willys Haus vorüber kam, erschien auf seinem Gesicht ein spitzbübisches und schadenfrohes Lächeln - als ob er sagen wollte : "So, Willy, da hast du's ! Jetzt bist d u dran !"

Selbstverständlich ließ sich Willy nicht sehen, obwohl er zu Hause war. Er wollte Röbchen nicht zeigen, dass er sich ärgerte. Röbchen wusste seine "Fronleichnamsprozession" zeitlich so einzurichten, dass er entweder vor meines Vaters Kirchgang oder nach Willys Rückkehr vom Gottesdienst "jauchzte".

Das ging so jahrelang, und es schien, als ob sich Röbchen und Willy stets schon im Voraus in gespannter Erwartung auf die derart geschändeten Feiertage freuten. Es mag wohl sein, dass an solchem Tag ein jeder in seinen vier Wänden den gottlosen Nachbarn verwünschte ; sobald jedoch das "Hochfest" vergangen war, begegneten sie einander wieder in nachbarlicher Eintracht.

Als ich dann älter wurde, ging mir das feiertägliche Gehabe der beiden Todfreunde gegen den Strich. Ich erklärte meinem Vater, dass ich karfreitags den werkstättlichen Lärm nicht mehr hören wolle; gerade an diesem Tag möchte ich nicht so lautstark an Hammer und Nägel erinnert werden. Mein Vater war verdutzt, aber in seinem Gesicht konstatierte ich ein "In-sich-gehen".

Am folgenden Karfreitag war Stille in Willys Haus. Es liefen keine Maschinen, es klopfte kein Hammer. Und neun Wochen später unterblieb auch Röbchens "Jauchzen". Die beiden hatten sich ohne Worte verständigt und geeinigt, und in meinem Heimatort verloren sich nach fast zweieinhalb Jahrhunderten die letzten Spuren eines "Religionskriegs.