Portal des ehemaligen Kreishauses heute

Waldbröl als Kreishauptort (1816–1932).

 

Die Geschichte Waldbröls als Verwaltungsort begann nicht erst in dem Augenblick, wo beim Wiener Kongress (1814/15) das Erbe Napoleons aufgeteilt werden sollte und mit den preußischen Herren schließlich auch im Rechtrheinischen eine neue Verwaltung entstand. Die Voraussetzungen für den Übergang vom alten bergischen Amt Windeck, das schon vor der Zerstörung der Burg Windeck im Dreißigjährigen Krieg von der Rentei Denklingen aus verwaltet worden war, zum späteren Mittelpunktsort Waldbröl mit eigener Kreisverwaltung hatten die Franzosen und ihr Kaiser geschaffen.(vgl Corbach: Die Rentmeister und Richter des Amtes Windeck in: Beiträge zur Berg. Geschichte, S. 180ff.)

Im November 1808 erließ Napoleon, nachdem er selber seit kurzem in der Nachfolge seines Schwagers Joachim Murat oberster Verwalter des Modellstaats Großherzogtum Berg war, von Spanien aus, wo einer der frühen Aufstände gegen seine Herrschaft ausgebrochen war, eine Territorialverfassung für das bereits zwei Jahre zuvor entstandene Großherzogtum. Sie unterteilte das Land nach französischem Vorbild in Departements, Arrondissements und machte aus dem bis dahin bestehenden Amt Windeck als unterem Verwaltungsmittelpunkt den Canton Waldbröl sowie aus dem Kirchspiel Waldbröl eine Munizipalität, die spätere Bürgermeisterei. Die vom Kaiser bald darauf angemahnte Umsetzung dauerte bis in das Frühjahr des Folgejahrs, als schließlich die neue Verwaltung arbeitsfähig war.

Wie diese Anfänge für die Munizipalität Waldbröl im Augenblick ihres Entstehens 1809 aussahen, hat O. Budde am Anfang seines Buches „Waldbröl, wie es wurde, was es ist“(vgl. Literaturliste), erschienen zum 850 jährigen Jubiläum der Erstnennung von 1131, aus erhaltenen Dokumenten dargestellt (S. 19ff.) Gottfried Corbach in seiner „Geschichte von Waldbröl“ (1973) referiert die damaligen Einwohnerzahlen (S. 540) nach überlieferten Statistiken , wonach 1808 der Ort 2031 Personen, die Gemeinde 1809 3576 Personen und das gesamte Amt Windeck (1809) 19222 Einwohner zählten.

Dass der Kanton und das spätere Kreisgebiet bis 1932 auch die später abgetrennten Gemeinden Dattenfeld und das Windecker Ländchen umfassten, erlaubt einen ungefähren Einwohnervergleich nur für die Gemeinde selbst, für welche die Statistik am Ende des Jahres 2008 lt. Webseite der Stadt eine Zahl von 19992 Einwohnern angibt. Hinter dem demographischen Zuwachs um das mehr als 5 fache in den letzten genau 200 Jahren verbirgt sich die lange dank ihrer ungünstigen räumlichen Lage und agrarischen Wirtschaft zurückhaltende und erst in den letzten Jahrzehnten steilere Entwicklung einer rheinischen Landgemeinde samt dem Auf und Ab der dazugehörigen Ortsgeschichte.

 

Unter den Preußen

Das Werden des Kreises nach Abzug der Franzosen und die Einrichtung einer preußischen Kreisverwaltung bestimmten nicht nur die Gegebenheiten eines Behördenmittelpunkts mit dazugehörigem Personal, angefangen bei den Landräten, Juristen und etwa dem Kreisarzt und Kreisbaumeister, es gehörten dazu auch weitere Ämter und Dienstleistungsbereiche .

Einen ersten Aufschwung verzeichnet die Historie um die Mitte des 19.Jh, als die Infrastruktur mit dem Straßenbau auf der Trasse der heutigen B 256 und der Brölstraße sich zu entwickeln beginnt und ein erstes Kreisblatt die positiven Veränderungen, die mit dem neuen Viehmarkt, einer Genossenschaftsbank und der Bürgerschule u.a. einhergingen, bezeugt. Einen zweiten Schub bringt die Zeit um die Jahrhundertwende mit der neuen Heil- und Pflegeanstalt, einem ersten Krankenhaus, der Bahnverbindung an die Agger und den sich entwickelnden gewerblichen Aktivitäten, nicht nur bezogen auf die Lederbranche. Die Verwaltung des Kreises bezieht ein neues repräsentatives Gebäude gegenüber der Landratswohnung, die Bürgerschule bekommt ein großes Gebäude am Alsberg und rund um den Ort entstehen zahlreiche Volksschulen, die der Jugend eine Grundbildung vermitteln. Ortsbeleuchtung, Wasserversorgung und Telefon mehren den zivilisatorischen Komfort. Drei Bahnlinien verbinden bald den bis dahin entlegenen Ort mit der Außenwelt.

Manche von den Mittelpunktsfunktionen, die der Ort heute noch auf andere Weise hat, waren schon gegen Ende des 19. Jh. angedeutet. Sie drückten sich aus in einer Vielfalt von zusätzlichen gewerblichen Angeboten, angefangen beim 14 tägigen Vieh- und Krammarkt über einschlägige Fahr- und Beförderungsgeschäfte bis hin zu spezialisierten Einkaufsmöglichkeiten und Dienstleistungsangeboten, einer höheren Bürgerschule, einer medizinischen Versorgung mit Krankenhaus und einer zentralen Pflegeanstalt. Die besseren Verbindungen nach draußen durch neue Straßen und Schienenwege, die Elektrifizierung und verbesserte Wasserversorgung, die Begleitung der Entwicklung durch eine aufmerksame einheimische Presse hoben nicht nur das Bewusstsein derer, die im Ort selbst zu Hause waren. Zweifellos dauerten Verbesserungen in den Außenortschaften länger und das schürte gelegentlich den Missmut über die doerper, wie man die Waldbröler im Gegensatz zu den höewern nannte. Die bessere Verkehrsanbindung erleichterte aber auch all denen das Leben, die sich in Notzeiten als Kleinlandwirte in den schnell wachsenden Städten des Umlands ganzjährig oder nur für die Wintermonate als Maurer und Pflasterer verdingten und draußen ihren Lebensunterhalt und den für ihre zu Hause verbliebene Familie suchten. Hier entstand eine wachsende horizontale Mobilität, die deutlich das Leben in den Außenorten berührte. Mancher, der auf den Höfen überflüssig war oder sich ein besseres Auskommen erhoffte, verlegte seine Tätigkeit aber auch ins "Dorp" und hoffte sich dort zu verbessern, verließ den Ort gar ganz, um weiter draußen, an Rhein und Wupper, sein Glück zu machen. Im Gegenzug wechselten in die gehobenen Behörden- und Verwaltungsstellen Waldbröls wie auch die akademischen Arbeitsplätze in höheren Positionen Beamte aus dem ganzen Kaiserreich kurz- oder langfristig.

Bei alldem blieben in der einfachen bäuerlichen und gewerblichen Nahwelt für viele Familien die Verkehrskreise eng, die vertikale Mobilität hielt sich in Grenzen, die Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen ergaben sich in der Nachbarschaft, man heiratete konfessionell und wirtschaftlich gleichsinnig in der Nähe von Dorp und umgebenden Höewen. Die gemeinsame Mundart und die Bindung an die tradierten kirchlichen, nationalen und gesellschaftlichen Grundmuster bestimmten eine, so erscheint es heute, überschaubare Lebens- und Bildungswelt, die sich gestützt auf Schulen, Kirchen, Verwaltungen und politische Kräfte ins „Reich“ hinein fortsetzte.

Schriftlich dokumentiert und unter verschiedenem Blickwinkel interpretiert ist diese Welt von vor hundert Jahren in vielen älteren, aber auch einigen jüngeren heimatkundlichen Veröffentlichungen ebenso wie in volkskundlichen Arbeiten und Aufsätzen regionaler Heimatforscher. Sie spiegelten und spiegeln sich in Pressedarstellungen, die sich an der Aktualität orientieren oder in gelegentlichen Ausstellungen zu historischen Gedenkanlässen.

Dass die Bürgermeisterei von der Kreisfunktion profitiert, ist also unübersehbar. Wie sehr die Anwesenheit von Behörden bis weit in das 20.Jahrhundert hinein die Entwicklung des Ortes prägte, lässt sich u.a. an den Berufsangaben in örtlichen Adressbüchern der damaligen Zeit beobachten.

Als Beispiel hier eine Übersicht über Berufsangaben, wie sie dem örtlichen Adressbuchverzeichnis des Jahres 1911 zu entnehmen sind. Es war nicht nur möglich sondern erwünscht, den Beruf hinter den Adressangaben (in der zeitgemäßen standesüblichen Stilistik) zu vermerken. Als im Hauptort vorhandene Positionen und Berufe erscheinen u.a. 1 Kgl. Landrat- 1 Kgl. Kreissekretär- 1 Kgl. Kreisarzt- 1 Kgl. Steuersekretär - 1 Justizrat- 1 Kgl. Notar- 1 Kreisbaumeister- 1 Kreistierarzt- mehrere Gerichtsdiener ,1 Gerichtskanzlist und mehrere Gerichtsgehilfen –1. Gerichtsassistent,- 1 Rentmeister –1 Steuersekretäre - 4 Landmesser- 2 wissenschaftliche Lehrer- 1 Winterschuldirektor- und dergleichen mehr. Sie alle und viele mehr spiegeln ebenso wie der Stil damals entstandener Bauten den Aufstieg des Ortes zum wenn auch ländlichen Kreismittelpunkt. Dass es daneben „einen“ Fabrikanten, einen Hotelbesitzer, mehrere Fuhrunternehmer, 1 Automobilbesitzer, 1 Chauffeur, 2 Pastoren, einem Kunstgärtner, mehrere Zugführer, 1 Stationsvorsteher, mehrere Gastwirte und Gastwirtinnen sowie 16 Kaufleuten, einen Gutsbesitzer neben zahlreichen Vertretern aus Gewerbe und Handwerk gibt, kennzeichnet die Entwicklung in einer Epoche, die man nach den anstehenden Katastrophen von Weltkrieg und Inflation gern die „gute alte Zeit“ nannte.

 

Als diese Tiefpunkte vorüber waren, erreichte ein kurzer Aufschwung in den späten zwanziger Jahren auch den Kreishauptort und man versucht, an die Zeit davor anzuknüpfen. Das Vereinsleben gewann neuen Aufschwung, die Heimatgeschichte blühte und mit dem Automobilverkehr, der Fotografie, dem Rundfunk, dem beginnenden Tourismus und Fremdenverkehr kamen neue Themen auf. Der Kreis bekam gar ein eigenes Heimatmuseum. Wie die zahlreichen Volksschulen durch die Zeit kamen, vermerkten seit den 70 er Jahren des vorausgehenden Jahrhunderts die darum lesenswerten Schulchroniken. Dass andererseits die Spannungen in Europa größer wurden und im politisch-gesellschaftlichen Leben bedenkliche Entwicklungen einsetzten, merkte man nicht erst bei beginnender Weltwirtschaftskrise und mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus. 1932, noch vor dem Umschwung in der Politik, machte eine Verwaltungsreform dem Leben als Kreishauptort durch die Zusammenlegung mit Gummersbach und durch die Schaffung des Kreises Oberberg ein Ende. Dass man sich eine Revision dieser Zentralisierung von den neuen Machthabern nach 1933 erhoffte, war für viele eine Verlockung, blieb aber eine schmerzliche Illusion. So endete nach etwa 125 Jahren die Geschichte Waldbröls als Kreisbehördenzentrum.